Doch die Preissteigerungsraten fressen die Lohnerhöhungen gleich wieder auf Zäh verläuft auch das Ringen um kür zere Arbeitszeiten Etwa zwei Drittel der Mitglieder müssen zehn Stunden täglich arbeiten die anderen noch länger Mit dem Ende des Sozialistengesetzes gut 20 Jahre zuvor ist die Diskriminierung längst nicht vorbei Bis weit nach der Jahr hundertwende weigert sich beispielsweise die Post in Hannover Briefe an die Gewerk schaft zuzustellen So muss der Fabrik arbeiterverband seine Mitglieder ausdrück lich auffordern Zuschriften direkt an den Vorsitzenden August Brey zu adressieren Sonst kommen sie nicht an Die parlamentarischen Vertreter der Arbeiterbewegung im Reichstag werden weiterhin konsequent ausgegrenzt Das Mehrheitswahlrecht sorgt dafür dass sich die vielen Stimmen nicht in der Zahl der Mandate niederschlagen Frauen dürfen überhaupt nicht wählen Schlimmer noch In Preußen herrscht das Drei Klassen Wahlrecht Wählen kann nur der der über ein entsprechendes Vermögen ein höheres Einkommen oder Grundbesitz verfügt In der Praxis bedeutet das den Ausschluss der Arbeiter und ihrer Frauen bei Landtags und Kommunalwahlen Hier wird deutlich Sie gelten immer noch als Bürgerinnen und Bürger zweiter wenn nicht gar dritter Klasse Eine Streikunterstützung besteht bereits seit 1890 Wer ohne Arbeit dasteht darf nicht auf den Staat hoffen Unterstützungs maßnahmen wie eine Arbeitslosenver sicherung gibt es noch nicht Hier springt der Fabrikarbeiterverband ein Er gewährt seit 1904 seinen Mitgliedern fi nanzielle Unterstützung ein wesentliches Argument um Gewerkschaftsmitglied zu werden Zwei Jahre später feiert der Verband sein 100 000 Mitglied Nach wie vor problematisch ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt Die Unterkünfte zu wenig zu klein zu düster und zu teuer Das Zeitalter der Mietskasernen beginnt Manche Zechen und Betriebe versuchen ihre Beschäftigten durch die Vermietung von kleinen Häusern und Werkswohnungen an den Betrieb zu binden Das Risiko Will man wegen einer besseren Bezahlung die Firma wechseln oder wagt man gar seinem Arbeitgeber zu widersprechen ist gleich auch die Wohnung weg Der Historiker Hermann Weber fasst die Leistung der Gewerkschaften so zusam men Bis zum Weltkrieg hatten sich die Verbände also nicht allein organisatorisch festigen und in einer feindlichen Gesell schaft des Kaiserreichs behaupten kön nen sondern sie waren auch in der Lage beachtliche sozialpolitische Leistungen zu erbringen und auf diesem Wege Defi zite der staatlichen Sozialpolitik auszugleichen gewerkschaftliche Solidarität war für große Teile der Arbeiterschaft inzwischen zu einer alltäglichen Erfahrung geworden Otto Hue Er war selbst kein Bergmann und wurde trotzdem einer der prägendsten Bergarbei ter Führer Seinen Einfl uss bezog der gelernte Metallarbeiter aus seiner Funktion als Redaktionsleiter der Bergarbeiter Zeitung Otto Hue 1866 1922 stand als trei bende Kraft hinter der Reorganisation des Alten Verbandes der im Gewerkverein christlicher Bergarbeiter sowie in der Polnischen Berufsvereinigung zeitweise starke Konkurrenten besaß Schon weit vor anderen plädierte er nachdrücklich für par teipolitische und konfessionelle Neutralität der Gewerkschaften Hue hatte schon früh erkannt dass weltanschauliche Spaltung die Arbeiterbewegung schwächt Es gibt kaum eine Stadt im Ruhrgebiet in der nicht eine Straße nach ihm benannt ist Zeitkolorit IG BCE 1901 1910 I 11 Bild 10 Wohnungselend einer Berliner Arbeiterfamilie

Vorschau IG BCE // 125 Jahre gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte Seite 11
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