1911 1920 Zwischen Großmannssucht Weltkrieg und Revolution Untertanengeist nach innen und Weltmachtfantasien nach außen so beschreibt eine Chronik des vergangenen Jahrhunderts den Herrschaftsstil des Wilhelminischen Reiches vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Am Ende des Jahrzehnts ist nichts mehr so wie es früher war Nach wie vor kämpft die Arbeiterbewe gung um ihre Anerkennung Die Regieren den wie auch die Wirtschaft verweigern auch 20 Jahre nach Ende der diskriminie renden Sozialistengesetzgebung gesell schaftliche und politische Gleichstellung Die Unternehmer der chemischen Indus trie und des Bergbaus behalten konse quent ihren Herrn im Hause Standpunkt bei und ignorieren die Gewerkschaften und ihre Vertreter Die Spannungen entladen sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Anfang August 1914 Noch eine Woche zuvor hatte der Vorwärts gewarnt Der Welt krieg droht Die herrschenden Klassen die euch im Frieden knebeln verachten ausnutzen wollen euch als Kanonen futter missbrauchen Die kaiserliche Regierung vermittelt den Eindruck ein russischer Überfall auf das Kaiserreich stände unmittelbar bevor Die Arbeiterbewegung hat den Blutsonn tag des Jahres 1905 noch vor Augen An diesem Tag ließ der Zar mehrere 100 Arbei ter niederschießen Spätestens damit ist sein despotisches System für die deutsche Arbeiterbewegung das Schreckensbild schlechthin geworden Hinzukommt eine weitere Furcht In den Schubladen der Generäle liegen Listen mit den Namen der Arbeiterführer Ihnen droht bei Kriegsaus bruch die Verhaftung Die Sorge um die Zukunft ihrer Organisa tionen aber sicherlich auch der Wunsch endlich nach vielen Jahrzehnten der Ver folgung und des harten Einsatzes für die Interessen der Arbeiter vom Kaiserreich respektiert zu werden geben den Aus schlag dass neben den anderen Parteien auch Sozialdemokraten und Gewerkschaf ten einen Burgfrieden mit dem wilhelmi nischen System schließen Allerdings gibt es unter den Arbeitern bei Kriegsausbruch keinen verbreiteten Hurra Patriotismus wie in der bürgerlichen Gesellschaft Die Zahl der Teilnehmer an Kundgebungen ge gen den Krieg ist größer als die der Kriegs jubler Die Zeitungen verschweigen das Die Gewerkschaften verzichten auf Arbeits kampfmaßnahmen während des Krieges Alle Fraktionen im Reichstag darunter auch die SPD mit vielen führenden Ge werkschaftern unter ihren Abgeordneten stimmen den Kriegskrediten am 4 August zu der Ausgangspunkt für die spätere Spaltung der Sozialdemokratie Die Reichsleitung weiß dass sie ohne und erst recht gegen die Arbeiter und ihre Organisationen keinen Krieg führen kann Deshalb signalisiert sie Gegenleistungen für eine Unterstützung im Verteidigungs krieg Regierung und Militär erklären sich daher bereit zum ersten Mal offiziell mit Gewerkschaftern zu reden Schikanen im Alltag werden aufgehoben Eine wichtige Stufe der Anerkennung erreichen die Gewerkschaften 1916 durch das Hilfsdienstgesetz Die Unternehmen müssen sich jetzt auf Augenhöhe mit ihnen an einen Tisch setzen und sollen in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten Arbeiterausschüsse einrichten Für den Fabrikarbeiterverband bedeutet das erst mals den Zugang zu den Großbetrieben der chemischen Industrie Die Arbeiter ausschüsse bilden die unmittelbaren Vor läufer der Betriebsräte deren Einführung 1920 im Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik beschlossen wird Der Krieg bringt millionenfachen Tod und gleichzeitig Verelendung an der Heimatfront 800 000 Zivilisten sterben in Deutschland an Hunger und Mangeler nährung Die Kriegsverdrossenheit vertieft von Monat zu Monat die Spannungen Die Ideen der russischen Oktoberrevolu tion schwappen über die Landesgrenzen Erfolgreiche Interessenmanager Betriebsräte sind nicht erst seit heute die Manager der Interessen der Beschäftigten im Betrieb Schon Ende des 19 Jahrhunderts forderte der Alte Verband die Einrichtung von Arbeiterausschüssen auf den Bergwerken Doch bis zu richtigen Betriebsräten war es noch ein weiter Weg Das erste Betriebsrätegesetz wurde am 4 Februar 1920 in der Weimarer Republik verabschiedet Wenig überraschend Die Nazis un tersagten die Betriebsrätearbeit Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 durch die Alliierten wieder erlaubt Ein erstes Betriebsverfas sungsgesetz wurde 1952 erlassen und 1972 sowie 2001 reformiert Die betriebliche Mitbestimmung bil det auch heute ein wesentliches Kern element der deutschen Wirtschafts und Sozialordnung Der Betriebsrat besitzt Mitbestimmungsrechte bei der Wahrnehmung der Arbeitneh merinteressen in sozialen personel len und wirtschaftlichen Ange legenheiten im internationalen Vergleich alles andere als selbstver ständlich Untersuchungen haben festgestellt Dort wo es Betriebsräte gibt geht es den Beschäftigten besser Michael Vassiliadis Durch Mitbestimmung können Betriebsräte in den Unternehmen für Gute Arbeit sorgen Bei den neuen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ist es allerdings notwendig ihre Rechte weiterauszubauen 12 I Zeitkolorit IG BCE 1911 1920

Vorschau IG BCE // 125 Jahre gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte Seite 12
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